KI-Schutzraum als Schlüssel zum Efolg | warum Technologie kein Selbstzweck ist - mit Philip Parker

Oct 22, 2025

Maximilian Hahnenkamp

Wie Rösberg Engineering Künstliche Intelligenz in die Prozessindustrie bringt – mit Mut, Struktur und Mensch im Mittelpunkt. Ein Gespräch zwischen Maximilian Hahnenkamp (Scavenger AI) und Philipp Parker (AI Lead, Rösberg Engineering)

Von der Automatisierung zur Künstlichen Intelligenz

Rösberg Engineering ist ein Familienunternehmen in dritter Generation – und eines, das sich nicht auf Tradition ausruht. Mit rund 200 Mitarbeitenden liefert das Karlsruher Unternehmen seit über 60 Jahren Automatisierungslösungen für die Prozessindustrie – also für Chemie, Pharma, Öl und Gas.
Doch während viele Mittelständler noch darüber nachdenken, wie sie KI integrieren können, hat Rösberg längst angefangen, eigene Wege zu gehen.

Philipp Parker, AI Lead und Innovationstreiber bei Rösberg, beschreibt seine Rolle als „Schnittstelle zwischen Innovation, KI und Softwareentwicklung“. Im sogenannten R-Lab, einem geschützten Innovationsraum, können Mitarbeitende neue Ideen einbringen, ausprobieren und weiterentwickeln. „Wir wollten von Anfang an, dass Innovation nicht nur von oben kommt, sondern aus der Mitte der Organisation“, so Parker.

Vom ChatGPT-Moment zur unternehmensweiten KI-Strategie

Wie in vielen Unternehmen begann auch bei Rösberg die Reise mit ChatGPT. „Vor 2022 war das Thema KI für uns kein operatives Thema“, gibt Parker offen zu. Doch als OpenAI im November 2022 ChatGPT veröffentlichte, war das der Auslöser: „Innerhalb weniger Monate hatten wir unser erstes KI-Projekt im R-Lab.“

Damals, erinnert sich Parker, herrschte der „Wilde Westen“. Kolleginnen und Kollegen testeten ChatGPT privat, schrieben Gedichte, experimentierten – und stellten die ersten Fragen zu Datenschutz und Unternehmensnutzung.
„Wir wollten diese Energie nutzen, aber auch die Unsicherheit rausnehmen“, sagt Parker.

Das Ergebnis: der „Rösberg-Assistent“ – ein interner Chatbot auf Basis moderner Sprachmodelle, integriert in Microsoft Teams, verwaltet durch die IT und mit einer klaren Governance-Struktur. „Man bekam erst Zugriff, wenn man eine Schulung und Nutzungsvereinbarung abgeschlossen hatte – das war uns wichtig.“

So wurde KI nicht zum Chaos-Thema, sondern zur strukturierten Lernreise für die Belegschaft.

Von Experimenten zu konkretem Mehrwert

Nach einem Jahr zog Rösberg Bilanz: In einer internen Umfrage unter knapp 100 Nutzerinnen und Nutzern zeigte sich eine durchschnittliche Zeiteinsparung von 54 Minuten pro Woche durch KI-Unterstützung – von null bis über vier Stunden reichte die Spannbreite.
„Das klingt banal, aber über ein Jahr und 100 Mitarbeitende gerechnet, ist das eine massive Produktivitätssteigerung“, erklärt Parker.

Ein konkretes Beispiel: In der firmeneigenen Software Liveforms können Ingenieure Prüfblätter und Checklisten anlegen. Früher geschah das manuell über einen Drag-and-drop-Editor. Heute generiert ein KI-Assistent die Formulare automatisch anhand einer kurzen Beschreibung – das spart über 30 % Zeit im Erstellungsprozess.

„Der wahre Mehrwert entsteht dann, wenn KI gezielt und sinnvoll integriert wird – nicht als Selbstzweck, sondern als Werkzeug, das die Arbeit wirklich erleichtert“, so Parker.

Innovation braucht Schutzräume – und Management-Rückendeckung

Was Rösberg von vielen unterscheidet: Das Unternehmen hat eine strukturierte Innovationskultur geschaffen.
Jede*r Mitarbeitende kann Ideen einreichen – ganz einfach per Teams-Formular oder Mail. Das R-Lab-Team bewertet, unterstützt und begleitet die Umsetzung.

Doch Parker betont: „Das funktioniert nur, wenn alle mitziehen – Innovationsteam, IT und Management. Wenn nur eine Abteilung marschiert, führt das zu Spannungen.“
Seine Devise lautet daher: „Nicht verbieten, sondern begleiten.“ KI müsse im geschützten Rahmen ausprobiert werden dürfen.

Kleine Schritte, große Wirkung

Rösberg verfolgt einen pragmatischen Ansatz: „Start small – but start right.“
Anstatt sofort auf große, komplexe KI-Systeme zu setzen, hat das Team bewusst mit kleinen Use Cases begonnen, um Akzeptanz und Vertrauen aufzubauen.

„Prototypen sind schnell gebaut – aber etwas sauber, sicher und skalierbar umzusetzen, ist die wahre Herausforderung“, erklärt Parker.
Darum konzentriert sich das Unternehmen derzeit auf den Aufbau einer eigenen KI-Infrastruktur, die langfristig die Integration von Modellen direkt in die eigene Software ermöglicht – „hinter Buttons und Funktionen, dort, wo der Nutzer arbeitet“.

Zwischen Cloud und Edge – die Zukunft ist hybrid

Technologisch ist Rösberg offen – aber nicht naiv. „Cloud ist natürlich stark, wenn es um Skalierung geht. Aber Souveränität und Datenhoheit sind genauso wichtig“, sagt Parker.
Kleinere, lokale Modelle werden seiner Ansicht nach künftig eine größere Rolle spielen: „Man braucht kein riesiges Modell, das Gedichte schreiben kann, wenn man einfach nur Geräteinformationen verarbeiten möchte.“

Er selbst experimentiert privat mit lokalen Modellen auf einem Mac Mini. „Die Technologie wird effizienter, günstiger und zugänglicher. Ich glaube, wir werden in Zukunft viele spezialisierte kleine Modelle sehen.“

Ausblick: Die Zukunft des Engineerings

Wenn Parker zehn Jahre in die Zukunft blickt, sieht er Ingenieure mit AR-Brillen und Voice-Co-Piloten arbeiten:
„Die Systeme werden Kontext aus Sensorik, ERP und Software kombinieren, Informationen einblenden und Handlungsempfehlungen geben. Vieles wird nicht mehr gesucht oder manuell erstellt, sondern validiert.“

Die Vision: Ein sprachgesteuerter, visueller Assistent, der im industriellen Umfeld die Brücke zwischen Mensch, Maschine und Daten schlägt – intelligent, sicher und hands-on.

Fazit: Mut, Struktur und europäische Stärke

Für Parker ist klar: KI ist eine Schlüsseltechnologie, aber kein Selbstzweck.
„Wenn wir unser technisches Know-how, unsere Präzision und Qualität mit KI verbinden, kann daraus ein echter Wettbewerbsvorteil für Europa entstehen.“

Was es dazu braucht?
„Mehr Optimismus, Mut und Zusammenarbeit. Wir haben in Europa herausragende Forschung, starke Unternehmen und kluge Köpfe. Wenn wir das zusammenbringen, dann sind wir beim KI-Rennen noch lange nicht raus.“