
Einfach mal machen; vor allem bei KI im KMU - mit Julia Schwäke
Ein Gespräch zwischen Maximilian Hahnenkamp (Scavenger AI) und Dr.-cand. Julia Schwäke (Innovation & Vermarktung digitaler Produkte; Doktorandin HHL, Strategic Entrepreneurship)
Sie trägt zwei Hüte – und beide sitzen fest: beruflich leitet Julia Schwäke Innovation & Go-to-Market für digitale Produkte bei einem deutschen Baustoffproduzenten. Akademisch promoviert sie an der HHL zum Zusammenspiel von digitaler Transformation, KI und KMU-Realität. Im Austausch mit Maximilian Hahnenkamp spricht sie über Datenschutz als Standortfrage, warum viele KI-Projekte scheitern, wie GenAI die Taktzahl in Startups erhöht – und weshalb „einfach mal machen“ nur funktioniert, wenn Hausaufgaben erledigt sind.
Forschung, die in die Werkshalle greift
Schwäkes Dissertation ist paper-basiert: mehrere Studien zu
KI-Umsetzung in KMU (Hürden, Hebel, Reifegrade),
Nachhaltigkeit durch KI (Materialeinsatz, Energie, Emissionen),
Umgang mit Unsicherheit (Policy, Förderung, Governance),
Geschwindigkeit durch GenAI – besonders in Startups.
„KI ist kein Nice-to-Have mehr. Es ist Pflicht – über alle Unternehmensgrößen hinweg.“
Überraschend für sie: Politische Rahmenbedingungen spielen für KMU eine viel größere Rolle als oft angenommen – von Datenschutz bis Förderlogik.
Datenschutz: Bremsklotz oder Wettbewerbsvorteil?
Ja, Europa ist strenger – und das kostet kurzfristig Tempo. Aber Schwäke argumentiert pragmatisch: Wer verantwortungsvoll mit Daten arbeitet, baut langfristig Vertrauen, Schutz und Qualität in seine Modelle ein. Ihre Quintessenz: Nicht „entweder-oder“, sondern „sicher und schnell – durch klare Regeln“.
Effizienz und Effektivität: Das „verlorene“ Plus
GenAI beschleunigt Code, Texte, Recherchen – Effizienz. Der vergessene Hebel, sagt Schwäke, liegt in der Effektivität:
Wenn z. B. Entwickler dank KI schneller liefern, können sie Kundensupport übernehmen, lernen die Pain Points „am Draht“ – und bauen relevanteres Produkt.
KI macht also mehr vom Richtigen, nicht nur das Gleiche schneller.
Warum 95 % scheitern – und die 5 % gewinnen
Schwäkes Diagnose ist unmissverständlich:
Kein echter Use Case
„Golfplatz-Entscheidung: ‚Wir brauchen KI. Wofür? Egal.‘“
Lösung: Problem → Outcome → Datengrundlage → KPI → Pilot → Skale.Overselling & Erwartungsbruch
Startups versprechen „lernende KI“, liefern aber Heuristik.
Lösung: Transparenz über Reifegrad, Scope, Abhängigkeiten.Fehlende Projektmechanik
Ohne Rollen, Datenzugänge, DQ-Checks und Meilensteine scheitert Governance.
Lösung: kleine Brötchen (8–12 Wochen Pilots), klare „Exit/Expand“-Kriterien.Unfertige Grundlagen
Prozessharmonisierung, Datenfluss, Metadaten – Hausaufgaben zuerst.
Corporate × Startup: So klappt’s wirklich
Erwartungsmanagement auf beiden Seiten: Was ist heute lieferbar?
Partnerschaftlich eskalieren: „Um Ziel X zu schaffen, brauchen wir Y-Ressourcen.“
„Problem, nicht KI“ verkaufen: Bei Nutzern Buzzword meiden, bei Investoren Nutzen + Governance sauber erklären.
Wo sofort Mehrwert liegt (Julia’s Shortlist)
Produktionsoptimierung: Weniger Material, weniger Ausschuss, stabilere Qualität.
Bürokratie & Backoffice: Automatisierte Vorgänge, weniger „Äffchenarbeit“.
Prozess-Telemetry: Durchgängige Datenpfade, um kontinuierlich zu verbessern.
Wo wir im Hype-Zyklus stehen
Schwäke verortet uns im Tal der Enttäuschung: Die Euphorie weicht Realität, jetzt beginnt der professionelle Aufstieg – langsamer, dafür robuster. KI ist gekommen, um zu bleiben.
7 konkrete Schritte für den deutschen Mittelstand
Start mit Use Case Canvas: Problem, Nutzen, Daten, KPI, Risiken.
Data Readiness: Quellsysteme, Datenqualität, Zugriffsrechte, Logging.
Human-in-the-Loop verpflichtend: Qualität, Haftung, Lernen im Betrieb.
Pilotieren, nicht postulieren: 10-Wochen-Pilot, harte Go/No-Go-Kriterien.
Transparenz im Tech-Stack: Was ist regelbasiert, was ist ML/GenAI – und warum.
Change by Design: Rollen, Schulungen, Kommunikationsplan, Support.
ROI offenlegen: Zeitersparnis und Effektivitätsgewinne (z. B. NPS, Conversion, First-Time-Right).
Blick nach vorn: Medizin, Personal Agents & digitale Hygiene
Ihre Wunsch-Schlagzeile in zehn Jahren: „KI hilft Krankheiten zu heilen – mit Mensch im Loop.“
Dazu nennt sie drei Zukunftsfelder:
Bioengineering & personalisierte Therapien – KI als Diagnostik- und Design-Motor.
Personal Agents – digitale Assistenten, die Alltag und Arbeit autonom entlasten.
Energieeffiziente KI & Faktenhygiene – Green Compute, bessere Datennormen, weniger Fake.
„Die einfachen Probleme verschwinden. Die heutigen Mittleren werden leicht. Die schweren von morgen kennen wir noch gar nicht.“
Fazit
Mut ja – aber mit Methode.
Wer heute kluge Use Cases sauber exekutiert, Human-in-the-Loop ernst nimmt und die Datenhausaufgaben macht, erntet nicht nur Effizienz, sondern strategische Wirkung: bessere Produkte, schnellere Lernzyklen, resilientere Organisationen.