Einfach mal machen; vor allem bei KI im KMU - mit Julia Schwäke

Oct 1, 2025

Maximilian Hahnenkamp

Ein Gespräch zwischen Maximilian Hahnenkamp (Scavenger AI) und Dr.-cand. Julia Schwäke (Innovation & Vermarktung digitaler Produkte; Doktorandin HHL, Strategic Entrepreneurship)

Sie trägt zwei Hüte – und beide sitzen fest: beruflich leitet Julia Schwäke Innovation & Go-to-Market für digitale Produkte bei einem deutschen Baustoffproduzenten. Akademisch promoviert sie an der HHL zum Zusammenspiel von digitaler Transformation, KI und KMU-Realität. Im Austausch mit Maximilian Hahnenkamp spricht sie über Datenschutz als Standortfrage, warum viele KI-Projekte scheitern, wie GenAI die Taktzahl in Startups erhöht – und weshalb „einfach mal machen“ nur funktioniert, wenn Hausaufgaben erledigt sind.

Forschung, die in die Werkshalle greift

Schwäkes Dissertation ist paper-basiert: mehrere Studien zu

  • KI-Umsetzung in KMU (Hürden, Hebel, Reifegrade),

  • Nachhaltigkeit durch KI (Materialeinsatz, Energie, Emissionen),

  • Umgang mit Unsicherheit (Policy, Förderung, Governance),

  • Geschwindigkeit durch GenAI – besonders in Startups.

„KI ist kein Nice-to-Have mehr. Es ist Pflicht – über alle Unternehmensgrößen hinweg.“

Überraschend für sie: Politische Rahmenbedingungen spielen für KMU eine viel größere Rolle als oft angenommen – von Datenschutz bis Förderlogik.

Datenschutz: Bremsklotz oder Wettbewerbsvorteil?

Ja, Europa ist strenger – und das kostet kurzfristig Tempo. Aber Schwäke argumentiert pragmatisch: Wer verantwortungsvoll mit Daten arbeitet, baut langfristig Vertrauen, Schutz und Qualität in seine Modelle ein. Ihre Quintessenz: Nicht „entweder-oder“, sondern „sicher und schnell – durch klare Regeln“.

Effizienz und Effektivität: Das „verlorene“ Plus

GenAI beschleunigt Code, Texte, Recherchen – Effizienz. Der vergessene Hebel, sagt Schwäke, liegt in der Effektivität:

  • Wenn z. B. Entwickler dank KI schneller liefern, können sie Kundensupport übernehmen, lernen die Pain Points „am Draht“ – und bauen relevanteres Produkt.

  • KI macht also mehr vom Richtigen, nicht nur das Gleiche schneller.

Warum 95 % scheitern – und die 5 % gewinnen

Schwäkes Diagnose ist unmissverständlich:

  1. Kein echter Use Case

    „Golfplatz-Entscheidung: ‚Wir brauchen KI. Wofür? Egal.‘“
    Lösung: Problem → Outcome → Datengrundlage → KPI → Pilot → Skale.

  2. Overselling & Erwartungsbruch
    Startups versprechen „lernende KI“, liefern aber Heuristik.
    Lösung: Transparenz über Reifegrad, Scope, Abhängigkeiten.

  3. Fehlende Projektmechanik
    Ohne Rollen, Datenzugänge, DQ-Checks und Meilensteine scheitert Governance.
    Lösung: kleine Brötchen (8–12 Wochen Pilots), klare „Exit/Expand“-Kriterien.

  4. Unfertige Grundlagen
    Prozessharmonisierung, Datenfluss, Metadaten – Hausaufgaben zuerst.

Corporate × Startup: So klappt’s wirklich

  • Erwartungsmanagement auf beiden Seiten: Was ist heute lieferbar?

  • Partnerschaftlich eskalieren: „Um Ziel X zu schaffen, brauchen wir Y-Ressourcen.“

  • „Problem, nicht KI“ verkaufen: Bei Nutzern Buzzword meiden, bei Investoren Nutzen + Governance sauber erklären.

Wo sofort Mehrwert liegt (Julia’s Shortlist)

  1. Produktionsoptimierung: Weniger Material, weniger Ausschuss, stabilere Qualität.

  2. Bürokratie & Backoffice: Automatisierte Vorgänge, weniger „Äffchenarbeit“.

  3. Prozess-Telemetry: Durchgängige Datenpfade, um kontinuierlich zu verbessern.

Wo wir im Hype-Zyklus stehen

Schwäke verortet uns im Tal der Enttäuschung: Die Euphorie weicht Realität, jetzt beginnt der professionelle Aufstieg – langsamer, dafür robuster. KI ist gekommen, um zu bleiben.

7 konkrete Schritte für den deutschen Mittelstand

  1. Start mit Use Case Canvas: Problem, Nutzen, Daten, KPI, Risiken.

  2. Data Readiness: Quellsysteme, Datenqualität, Zugriffsrechte, Logging.

  3. Human-in-the-Loop verpflichtend: Qualität, Haftung, Lernen im Betrieb.

  4. Pilotieren, nicht postulieren: 10-Wochen-Pilot, harte Go/No-Go-Kriterien.

  5. Transparenz im Tech-Stack: Was ist regelbasiert, was ist ML/GenAI – und warum.

  6. Change by Design: Rollen, Schulungen, Kommunikationsplan, Support.

  7. ROI offenlegen: Zeitersparnis und Effektivitätsgewinne (z. B. NPS, Conversion, First-Time-Right).

Blick nach vorn: Medizin, Personal Agents & digitale Hygiene

Ihre Wunsch-Schlagzeile in zehn Jahren: „KI hilft Krankheiten zu heilen – mit Mensch im Loop.“
Dazu nennt sie drei Zukunftsfelder:

  • Bioengineering & personalisierte Therapien – KI als Diagnostik- und Design-Motor.

  • Personal Agents – digitale Assistenten, die Alltag und Arbeit autonom entlasten.

  • Energieeffiziente KI & Faktenhygiene – Green Compute, bessere Datennormen, weniger Fake.

„Die einfachen Probleme verschwinden. Die heutigen Mittleren werden leicht. Die schweren von morgen kennen wir noch gar nicht.“

Fazit

Mut ja – aber mit Methode.
Wer heute kluge Use Cases sauber exekutiert, Human-in-the-Loop ernst nimmt und die Datenhausaufgaben macht, erntet nicht nur Effizienz, sondern strategische Wirkung: bessere Produkte, schnellere Lernzyklen, resilientere Organisationen.