
Wie man Daten in 140 Mio. € verwandelt, Datenkompetenz im großen Stil aufbaut – und weiß, wann man besser nicht zuhört – mit Filip Vitek
Ein Gespräch zwischen Maximilian Hahnenkamp (Scavenger AI) und Filip Vitek (EVP AI & Data, CommentSold)
Seit dem Studium zieht sich bei Filip Vitek ein roter Faden durch die Karriere: Daten als Wettbewerbsvorteil – vom Einzelbeitrag über Teamlead bis in C-Suiten. Im Podcast mit Maximilian Hahnenkamp erzählt Vitek, wie Data/AI nachweisbar Cash schafft, warum viele KI-Einführungen scheitern, wieso Entscheidungsfähigkeit die neue Data Literacy ist und welche Branchenumbrüche in den nächsten drei bis fünf Jahren realistisch sind.
Zwei Beispiele, die den Kurs eines Unternehmens drehen
Monetärer Impact (TeamViewer): Verhaltenserkennung zwischen Free-Tier und Lizenzbedarf. Präzise Trigger → Conversion-Tool → 140 Mio. € zusätzlicher Umsatz in vier Jahren.
Unerwartete Signale (Allianz): Offene Feature-Suche für Kfz-Tarifierung – bis hin zu exotischen Variablen. Ergebnis: Sternzeichen als zweitstärkster Prädiktor für Claims – in mehreren Ländern repliziert. Pointe: Daten eröffnen Perspektiven, auf die niemand „aus dem Bauch“ kommt.
Wo KI heute Pflicht ist – und wo noch Hype
Reif & „no-brainer“
Audio-Transkription & Meeting-Minutes
Dokumentzusammenfassungen (RAG/„closed book“)
Produktempfehlungen im Commerce
Wirkstoff-/Molekülforschung in Pharma
Überzogene Erwartungen
Humanoide Robotik im Alltag
„Ein-Personen-Unternehmen“ als Norm (Teams werden kleiner, aber nicht so klein)
„Mit Tieren sprechen“ – hübsche Sci-Fi, derzeit nicht belastbar
Warum so viele KI-Projekte trotz Tools scheitern
„Die großen Labs liefern Bauteile, keine fertigen Lösungen – und übernehmen keine Verantwortung für deinen Use Case.“
Viteks Analogie: Frühe Elektrifizierung brachte Einzelgeräte (Mikrowelle, Waschmaschine), die nicht miteinander sprachen. Genauso heute: tolle Modelle, aber isoliert. Wer sie ungezügelt „ins Freie“ lässt, scheitert an unvorhersagbarem Nutzerverhalten, Varianz, Emotionen. Der nächste Sprung kommt, wenn Unternehmen Orchestrierung, Guardrails und Integration ernst nehmen – statt nur Tools zusammenzuklicken.
Data Literacy 2025: SQL verlernen, Entscheiden lernen
Vitek zerlegt Datenkompetenz in drei Bausteine:
Extraktion (früher SQL)
Interpretation
Entscheidung & Aktion
Prognose: 1 & 3 werden durch KI stark automatisiert (Abfrage, Visualisierung). Differenzierer wird, ob Teams
Schlussfolgerungen der KI prüfen können (Plausibilität, Bias, Kausalität), und
daraus gute Entscheidungen und konsequentes Handeln ableiten.
Sind Daten 2025 noch ein Vorteil?
Ja – mikro: Eigene Kunden-, Nutzungs-, Prozessdaten bleiben moat.
Eher nein – makro: Offene Web-/Syndaten, synthetische Populationen etc. nivellieren Informationsvorsprünge. Einzigartigkeit entsteht in proprietären Betriebs- & Kundendaten.
Drei stark unterschätzte Use Cases
Wettbewerbsdaten systematisch scrapen: Preise, Sortimente, Launches, Newsletter – legal, schnell, wirksam.
Video-Content at scale: Konvertiert besser als statisch; Produktion heute kostengünstig automatisierbar.
Hiring-Pipeline automatisieren: Parsing, Pre-Screen, Skills-Assessments, Interview-Summaries – enorme Zeit- und Qualitätshebel.
Führen in Data/AI: Selbst-Disruption als Pflicht
Technologiezyklen sind kurz; Stagnation = Rückschritt.
Disziplin: Wer Daten fordert, muss selber datenbasiert entscheiden – inkl. Transparenz.
Erlaubte Abweichung: Daten zeigen das Optimum – bewusste Abweichungen dokumentieren & auswerten (wann hat Intuition gewonnen?).
Warum viele Firmen trotz Bekenntnis nicht datengesteuert sind: Impostor-Syndrom („sagen, aber nicht tun“), Machtabstände (Widerspruch unkomfortabel), und fehlende Messung: Was nicht erfasst wird, kann weder geführt noch verbessert werden.
Viteks 3-Punkte-Plan für Executives
Alles Speichern (geordnet): Digitale Speicherung jedes sinnvollen Datenpunkts; Retention Policies statt Verzicht.
Auto-Crunch statt Pull: Reports, Alerts, Cockpits pushen – Data arbeitet für die Entscheider.
„Welcher Datenpunkt stützt das?“ – als Default-Frage in Meetings; Abweichungen zulassen, aber kennzeichnen und rückwirkend bewerten.
Hype-Zyklus: Peak? Ja. Anfang? Auch.
Die Erwartungen liegen teilweise über den Ergebnissen – mit dem aktuellen Vorgehen. Ändert sich die Orchestrierung, ist 10- bis 100-facher Nutzen drin. Ohne Kurswechsel droht Ernüchterung.
3–5 Jahre Vorschau: realistisch, nicht magisch
AI-Filme on demand: Vollständig KI-generierte Movies – mit wählbaren Schauspielern pro Nutzer.
Uni neu gedacht: Digitale Professor:innen, adaptive Curricula, Zertifizierung jenseits klassischer Studienwege.
Autonomes Fahren skaliert: Robotaxis/Trucks kommen in den Massenbetrieb (Hardware-Turnover nötig, aber Momentum da).
Karriere-Rat zum Schluss: Werde Top-Tier
„KI macht die Besten etwas besser – aber die Durchschnittlichen plötzlich viel besser. Wer in der Mitte bleibt, riskiert, ersetzt zu werden.“
Upskill jetzt: Domänenverständnis, Entscheidungsqualität, Systemdenken, KI-Orchestrierung. Dann arbeitet KI mit dir, nicht gegen dich.
Fazit:
Der nächste Produktivitätssprung entsteht nicht aus „mehr Modellen“, sondern aus besserer Choreografie: proprietäre Daten nutzen, Use Cases eng führen, Entscheidungen konsequent machen – und Daten zum Diener des Geschäfts machen.