Wie man Daten in 140 Mio. € verwandelt, Datenkompetenz im großen Stil aufbaut – und weiß, wann man besser nicht zuhört – mit Filip Vitek

Oct 8, 2025

Maximilian Hahnenkamp

Ein Gespräch zwischen Maximilian Hahnenkamp (Scavenger AI) und Filip Vitek (EVP AI & Data, CommentSold)

Seit dem Studium zieht sich bei Filip Vitek ein roter Faden durch die Karriere: Daten als Wettbewerbsvorteil – vom Einzelbeitrag über Teamlead bis in C-Suiten. Im Podcast mit Maximilian Hahnenkamp erzählt Vitek, wie Data/AI nachweisbar Cash schafft, warum viele KI-Einführungen scheitern, wieso Entscheidungsfähigkeit die neue Data Literacy ist und welche Branchenumbrüche in den nächsten drei bis fünf Jahren realistisch sind.

Zwei Beispiele, die den Kurs eines Unternehmens drehen

  • Monetärer Impact (TeamViewer): Verhaltenserkennung zwischen Free-Tier und Lizenzbedarf. Präzise Trigger → Conversion-Tool → 140 Mio. € zusätzlicher Umsatz in vier Jahren.

  • Unerwartete Signale (Allianz): Offene Feature-Suche für Kfz-Tarifierung – bis hin zu exotischen Variablen. Ergebnis: Sternzeichen als zweitstärkster Prädiktor für Claims – in mehreren Ländern repliziert. Pointe: Daten eröffnen Perspektiven, auf die niemand „aus dem Bauch“ kommt.

Wo KI heute Pflicht ist – und wo noch Hype

Reif & „no-brainer“

  • Audio-Transkription & Meeting-Minutes

  • Dokumentzusammenfassungen (RAG/„closed book“)

  • Produktempfehlungen im Commerce

  • Wirkstoff-/Molekülforschung in Pharma

Überzogene Erwartungen

  • Humanoide Robotik im Alltag

  • „Ein-Personen-Unternehmen“ als Norm (Teams werden kleiner, aber nicht so klein)

  • „Mit Tieren sprechen“ – hübsche Sci-Fi, derzeit nicht belastbar

Warum so viele KI-Projekte trotz Tools scheitern

„Die großen Labs liefern Bauteile, keine fertigen Lösungen – und übernehmen keine Verantwortung für deinen Use Case.“

Viteks Analogie: Frühe Elektrifizierung brachte Einzelgeräte (Mikrowelle, Waschmaschine), die nicht miteinander sprachen. Genauso heute: tolle Modelle, aber isoliert. Wer sie ungezügelt „ins Freie“ lässt, scheitert an unvorhersagbarem Nutzerverhalten, Varianz, Emotionen. Der nächste Sprung kommt, wenn Unternehmen Orchestrierung, Guardrails und Integration ernst nehmen – statt nur Tools zusammenzuklicken.

Data Literacy 2025: SQL verlernen, Entscheiden lernen

Vitek zerlegt Datenkompetenz in drei Bausteine:

  1. Extraktion (früher SQL)

  2. Interpretation

  3. Entscheidung & Aktion

Prognose: 1 & 3 werden durch KI stark automatisiert (Abfrage, Visualisierung). Differenzierer wird, ob Teams

  • Schlussfolgerungen der KI prüfen können (Plausibilität, Bias, Kausalität), und

  • daraus gute Entscheidungen und konsequentes Handeln ableiten.

Sind Daten 2025 noch ein Vorteil?

  • Ja – mikro: Eigene Kunden-, Nutzungs-, Prozessdaten bleiben moat.

  • Eher nein – makro: Offene Web-/Syndaten, synthetische Populationen etc. nivellieren Informationsvorsprünge. Einzigartigkeit entsteht in proprietären Betriebs- & Kundendaten.

Drei stark unterschätzte Use Cases

  1. Wettbewerbsdaten systematisch scrapen: Preise, Sortimente, Launches, Newsletter – legal, schnell, wirksam.

  2. Video-Content at scale: Konvertiert besser als statisch; Produktion heute kostengünstig automatisierbar.

  3. Hiring-Pipeline automatisieren: Parsing, Pre-Screen, Skills-Assessments, Interview-Summaries – enorme Zeit- und Qualitätshebel.

Führen in Data/AI: Selbst-Disruption als Pflicht

  • Technologiezyklen sind kurz; Stagnation = Rückschritt.

  • Disziplin: Wer Daten fordert, muss selber datenbasiert entscheiden – inkl. Transparenz.

  • Erlaubte Abweichung: Daten zeigen das Optimum – bewusste Abweichungen dokumentieren & auswerten (wann hat Intuition gewonnen?).

Warum viele Firmen trotz Bekenntnis nicht datengesteuert sind: Impostor-Syndrom („sagen, aber nicht tun“), Machtabstände (Widerspruch unkomfortabel), und fehlende Messung: Was nicht erfasst wird, kann weder geführt noch verbessert werden.

Viteks 3-Punkte-Plan für Executives

  1. Alles Speichern (geordnet): Digitale Speicherung jedes sinnvollen Datenpunkts; Retention Policies statt Verzicht.

  2. Auto-Crunch statt Pull: Reports, Alerts, Cockpits pushen – Data arbeitet für die Entscheider.

  3. „Welcher Datenpunkt stützt das?“ – als Default-Frage in Meetings; Abweichungen zulassen, aber kennzeichnen und rückwirkend bewerten.

Hype-Zyklus: Peak? Ja. Anfang? Auch.

Die Erwartungen liegen teilweise über den Ergebnissen – mit dem aktuellen Vorgehen. Ändert sich die Orchestrierung, ist 10- bis 100-facher Nutzen drin. Ohne Kurswechsel droht Ernüchterung.

3–5 Jahre Vorschau: realistisch, nicht magisch

  • AI-Filme on demand: Vollständig KI-generierte Movies – mit wählbaren Schauspielern pro Nutzer.

  • Uni neu gedacht: Digitale Professor:innen, adaptive Curricula, Zertifizierung jenseits klassischer Studienwege.

  • Autonomes Fahren skaliert: Robotaxis/Trucks kommen in den Massenbetrieb (Hardware-Turnover nötig, aber Momentum da).

Karriere-Rat zum Schluss: Werde Top-Tier

„KI macht die Besten etwas besser – aber die Durchschnittlichen plötzlich viel besser. Wer in der Mitte bleibt, riskiert, ersetzt zu werden.“

Upskill jetzt: Domänenverständnis, Entscheidungsqualität, Systemdenken, KI-Orchestrierung. Dann arbeitet KI mit dir, nicht gegen dich.

Fazit:
Der nächste Produktivitätssprung entsteht nicht aus „mehr Modellen“, sondern aus besserer Choreografie: proprietäre Daten nutzen, Use Cases eng führen, Entscheidungen konsequent machen – und Daten zum Diener des Geschäfts machen.